1945-1949

Nach seiner Rettung zieht Emil Behr mit seiner Familie nach Karlsruhe. Die Stadt gehört ab Juli 1945 zum Herrschaftsgebiet der US-amerikanischen Militärregierung. Da diese Räumlichkeiten für die Verwaltung und Unterkünfte für ihre Mitarbeiter benötigt, werden Zimmer, Wohnungen und Häuser, vornehmlich von Mitgliedern der NSDAP, beschlagnahmt. Im Dezember 1946 soll allerdings auch die Wohnung, in der Familie Behr lebt, an die Militärregierung übergehen. Dies versucht Emil Behr zu verhindern. Ohne Erfolg: an Weihnachten muss die Familie die Wohnung räumen und in eine ihr zugesprochene Ersatzwohnung umziehen. Emil Behrs energische Proteste gegen diese Maßnahme bleiben folgenlos. Die Familie wird nicht mehr in ihre frühere Wohnung zurückkehren.


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Die Räumung von Emil Behrs Wohnung durch die US-Armee

Folgende Stimmen sprechen

A         Zitate jeglicher Art
B         Familie
C         Aushandlung 1
D        Aushandlung 2

Die Gesamtatmosphäre der Stimmen sind nüchtern, sie sprechen grundsätzlich recht abgeklärt. Diese Stimmung wird nur in wenigen Passagen durchbrochen, diese sind jeweils mit kurzen Anweisungen versehen., Die kursiv gedruckten Worte sind betont.

A: Kapitel 4. Die Räumung von Emil Behrs Wohnung durch die US-Armee.

B: In den Briefen rund um die Wohnungsklage erkenne ich meinen Großvater wieder. Er war ein selbstbewusster Mann, der einzige zudem, der mich als Teenager durch seine natürliche Autorität bändigen konnte.

A:  Emil  Behr  an  General  Lucius  D.  Clay.,  den  Militärgouverneur  der  US-amerikanischen Besatzungszone am 21.2.1949 :
„Ihre sehr bemerkenswerte Äußerung in der Pressekonferenz vom 15.02.1949 in Frankfurt am Main über antisemitische Bemerkungen ermutigte mich, Ihnen meinen eigenen Fall vorzutragen. Ich bin als  Volljude  am  27.  Juni  1900  in  Leimersheim  (Pfalz)  geboren,  gelernter  Schlosser  und  war während des Dritten Reiches als Häftling in den Konzentrationslagern Dachau, Auschwitz, Mauthausen und Gusen. Ich trage die Vergasungs-Nummer 188532.“

C: In welcher Rolle schreibt Emil hier? Er schreibt hier nicht als Vater und Ehemann, sondern als ehemals Verfolgter Jude im Nachkriegsdeutschland.

D: In den einzelnen Schreiben wird deutlich, dass Emil Behr gezwungen ist seine Geschichte zu instrumentalisieren, damit  ihm überhaupt Gehör geschenkt wird. So bezeichnet er sich als „Volljude“ zu dem er wenige Jahre zuvor gemacht wurde. Er muss das immer wieder betonen.

C: Durch seinen Status erhofft er sich Schutz und Sensibilität in seiner Behandlung.

D: Von der nicht viel übrig bleibt, als er am ersten Weihnachtsfeiertag 1946 aus seiner Wohnung geschmissen wird.

C: Unter Androhung von Gewalt, wohl gemerkt. Es macht mich wütend, wie Einzelne, die Teil der Niederschlagung  Nazi-Deutschlands  waren,  hier  ihr  Recht  durchgesetzt  haben.  Ich  erwarte eigentlich gerade von den Befreiern Respekt und Feingefühl gegenüber ehemalig Verfolgten. Es haben sich doch so viele amerikanische Juden freiwillig gemeldet, um gegen die Nazis zu kämpfen.

B: Ich bin kürzlich erst in das Generallandesarchiv Karlsruhe gegangen. Als der Archivar mir die Akten von Emil hinlegte blieb mir kurz die Luft weg, weil ich nicht diesen Umfang erwartet hatte. Dabei kamen ganz neue Dinge ans Licht. Die Wohnungsangelegenheit markiert den Anfang einer Reihe von Auseinandersetzungen in der Nachkriegszeit. Das belegen die Wiedergutmachungsakten im Generallandesarchiv Karlsruhe.
Es ist so schrecklich zu lesen, wie mein Großvater immer wieder beweisen musste, dass er sich seine körperlichen Leiden aus seiner Zeit in den Konzentrationslagern zugezogen hatte. Handschriftliche Vermerke der prüfenden Beamten „Zeuge?“ oder „Beweis?“. Aus einem ärztlichen Attest erfahre ich dann wieso er Gebisse hatte, mit denen er uns als Kinder zum Lachen brachte und meine Mutter zum Kopfschütteln, wenn er sie gleichzeitig aus dem Mund schob und zum Klappern brachte: Bei der Brotausgabe waren ihm mit einem Knüppel die Zähne ausgeschlagen worden. Die, die nicht sofort zerstört worden waren, waren ihm in der Folge ausgefallen. Nach dem Krieg hatte er sich dann die Zahnwurzeln entfernen lassen. Beim Schreiben bin ich immer noch fassungslos.

A: Eidesstattliche Erklärung Emil Behr, Karlsruhe-Durlach 15. Januar 1947:
Ich Emil Behr, Jude, ehemaliger Insasse der Konzentrationslager Dachau, Auschwitz, Mauthausen und Gusen erkläre hiermit, daß die in meiner früheren Wohnung widerrechtlich festgehaltenen Möbel mein alleiniges und uneingeschränktes Eigentum sind.
In meiner früheren Wohnung befinden sich noch folgende Möbel und Gegenstände:

D:  Es  mag  ein  unglücklicher  Zufall  gewesen  sein,  dass  seine  Wohnung  von  der  US  Army ausgewählt wurde. Schaut man sich die Verteilungspläne an, wo die verschiedenen Stellen und Personen eingezogen sind, liegt das wie ein Flickenteppich über der Stadt.

A:
1 Schreibtisch (Diplomat)
1 Schreibtischstuhl
1 Herrenzimmer-lampe
2 Speisezimmer-Lampen
2 Schlafzimmer-Lampen

B: Die Psychoanalytiker Kurt Grünberg und Friedrich Markert, die auch einen Beitrag im Ausstellungskatalog verfasst haben, beschäftigen sich nicht nur mit Tradierung sondern auch mit Trauma. Sie gehen davon aus, dass es so etwas wie einer sequentielle Traumatisierung und auch eine Retraumatisierung gibt. Das bedeutet, dass ein Trauma nicht nur aus einem einzelnen und einmaligen Ereignis besteht, sondern es auch maßgeblich ist, wie die gesellschaftlichen Umstände vor und vor allen Dingen nach diesem Ereignis beschaffen waren. Die Behandlung von Emil im Zusammenhang mit der Wohnung kann man unter dieser Perspektive als eine Retraumatisierung bezeichnen.

A:
1 Bett, eisern, weiss
2 Sofakissen,
4 Kopfkissen
1 Deckbett
1 Daunendecke
1 Staubsauger

C: In den Briefen von Emil ist seine Aufgewühltheit nach der Konfrontation mit dem Offizier nicht zu überlesen. Es ist Spekulation, aber zerbricht hier nicht schon wieder ein Weltbild. Die Besatzer die einem Verfolgten Gewalt androhen und Emil Behr dem noch einmal, wenn auch ganz anders, Unrecht widerfährt.

D: Die Befreier sind die gewaltsamen Besatzer. Das finde ich auch schwierig. Das kippt doch ganz leicht in eine Schieflage. Emil Behr. Das Opfer. Erst der Nazis. Dann der US – Besatzer. Das gefällt mir nicht.

A:
1 Nudelbrett
1 Kohleschaufel
1 Wassertopf
1 Paar warme blaue Hausschuhe

C: Ein Paar warme blaue Hausschuhe. Da sind sie wieder: die Hausschuhe. Ich weiß nicht warum, aber  da  hat  es  mich  gepackt,  da  ging  mir  das  plötzlich  sehr  nahe,  durch  zwei  kleine  simple Adjektive, mitten in dieser sterilen Liste.

D: Das sperrt sich einfach. Diese ganze Geschichte mit Emil und dem Offizier. Und die Briefe dann an Clay. Also da steht: »My General I beg you protection.« Protection, das heißt Schutz. Das passt alles hinten und vorne nicht mit meinem bisherigen Wissen über die Nachkriegszeit zusammen.

A: Auszug aus einer Aufnahme einer Diskussion des Kuratoren-Teams, Dienstag, 18. September 2012
Im Gegensatz zu der Reichsvereinigung haben wir uns nicht ein einziges Mal gefragt, warum Emil Behr keine behördlichen und rechtlichen Wege unversucht lässt um sein Recht einzufordern. Im Prinzip macht er das selbe, wie einige Jahre zuvor schon in der Klage an die Reichsvereinigung. Das wurde mit Unverständnis quittiert, hier schwappt ihm vollste Empathie entgegen.
Man mag zum Recht stehen wie man will, es macht ihn grundsymphatisch dass er sich nichts gefallen lässt, das scheint ein Charakterzug von ihm zu sein; irgendwie ist er durch und durch ein Bürger, der an dem Versprechen von Gleichheit und Gerechtigkeit festhält.

C: Befreier ist irreführend. Von was den befreit? Ja wohl von den Nazis, aber die sind doch immer noch überall. Emil wohnt sogar neben einem.

B: Am Ende meiner Sichtung der Akten im Karlsruher Archiv kam ein Gefühl dafür auf, wieso mein Großvater und mein Vater von sich aus uns aus der Zeit nichts erzählen wollten. Bis 1965 hatte Werner und bis 1968 Emil um ihr Recht gekämpft, kämpfen müssen, ein Brief folgte dem anderen, Jahr um Jahr. 1965, meinem Geburtsjahr, erhielt mein Vater Recht, in dem er eine Entschädigung dafür bekam, dass er als sogenannter Mischling 1. Grades nicht hatte studieren dürfen. Aus der Willkür eines einzelnen Gauleiters heraus, der aber am Fall Werner Behr ein Exempel statuieren wollte. 1968, dem Geburtsjahr meines Bruders, wurde Emils Antrag auf eine Erhöhung seiner mickrigen Entschädigung abgelehnt. Aktendeckel geschlossen, Kapitel beendet. Beginnen wir ein neues, widmen wir uns dem neuen Leben! Jetzt verstehe ich es besser, warum er nie von sich aus redete und gönne ihm das im Nachhinein sehr.

A:
3 Beile
1 Hackklotz
1 Spaten

B: Es ist schon merkwürdig. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Deutschen hat erst Mitte der 60er eingesetzt, vor allem mit den Frankfurter Auschwitz Prozessen. Jedoch waren Emil und Werner in den 50er Jahren unentwegt mit Behördengängen beschäftigt, mussten ihre Geschichte immer und immer wieder wiederholen. Und diese Leute in den Behörden sind bestimmt nicht nur mit meinem Vater und Großvater konfrontiert worden. Diese ganzen Ärzte, die Verletzungen, Schäden und Folgen aus Auschwitz und anderen Lagern bestätigten. Ich weiß nicht ob dann zu Hause bei den Familien am Küchentisch darüber geredet wurde. Vermutlich nicht, jedoch ist klar, dass in dieser Konfrontation etwas passiert sein muss mit und in den Subjekten. Etwas was sich dann auch gesellschaftlich sedimentiert.